Unsere Tochter schenkte meinem Mann letztes Weihnachten ein großes Glas voller handgeschriebener Zettel mit jeweils einem Spruch darauf – so dass er jeden Tag mit einer Lebensweisheit in den Tag starten kann. Mein Mann liest die Sprüche beim gemeinsamen Frühstück vor. Heute stand darauf: „Man sollte öfter einen Mutausbruch haben“.
Wann hatte ich zum letzten Mal einen Mutausbruch? Diese Frage stellte ich mir, als ich diese Weisheit hörte. Mir fielen gleich mehrere Dinge ein: unsere Familien-Alpenüberquerung zu Fuß als unerfahrene Wanderer, mein Jobwechsel von der Bankerin zum Familien- und Jugendcoach oder auch meine Rückmeldung an meine Chefin, dass ich mit ihrem Verhalten nicht einverstanden war.
Gleichzeitig erinnerte ich mich an eine sich wiederholende Situation aus meinem früheren Berufsleben, in der nicht nur mir der Mut fehlte, sondern auch meinem Gegenüber: Ich hatte öfter mit einem Kollegen zu tun, mit dem ich nicht gerne sprach. Besagter Kollege hatte oft Wutausbrüche und „zog einen regelrecht durchs Telefon“. Meine Strategie war, Gespräche mit ihm möglichst zu vermeiden. Wenn sie aber unvermeidbar waren, hörte ich mir seine Wut augenverdrehend an und forderte ihn dann auf, seine Ansichten zu erläutern. Seine durchaus fundierten Aussagen trug er mit überheblicher Arroganz vor, so dass sie für mich schwer annehmbar waren.
Ich kam mit meiner Strategie irgendwie zurecht mit ihm. Erquicklich war unsere Zusammenarbeit nie. Doch was hat seine Wut mit Mut zu tun? Mir fehlte zum damaligen Zeitpunkt der Mut, ihm zu sagen, dass ich in seinem Wutmodus nicht weiter mit ihm spreche. Dies wäre die Chance gewesen, mit ihm in ein anderes Gespräch zu kommen - nämlich darüber, warum er eigentlich so wutgeladen ist. Doch auch ihm fehlte der Mut. Statt die Punkte, die ihm sauer aufstießen aktiv und offen anzusprechen, um sie aus dem Weg zu räumen, verschaffte er sich Gehör über laute und bestimmende Kommunikation.
Mutausbrüche statt Wutausbrüche.
Mutausbrüche für freundschaftliche, gelingende Beziehungen.
Das aktive Ansprechen von dem, was uns stört, erfordert zunächst Mut. Doch Mut übt sich. Es wird immer leichter.